Notwehr oder Straftat? Wenn Selbstverteidigung vor Gericht endet

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Notwehr oder Straftat? Wenn Selbstverteidigung vor Gericht endet

Die Frage, ob eine Handlung als Notwehr oder als Straftat gewertet wird, ist komplexer, als es auf den ersten Blick erscheint. Zwar garantiert das deutsche Strafgesetzbuch jedem das Recht, sich gegen rechtswidrige Angriffe zu verteidigen − doch die Grenzen sind sehr eng gesteckt.

Wer in einer bedrohlichen Situation entsprechend handelt, muss sich später möglicherweise vor Gericht verantworten. Dort entscheidet sich dann, ob die Selbstverteidigung als gerechtfertigte Notwehr oder als strafrechtlich relevante Körperverletzung eingestuft wird.

Wann ist Notwehr rechtlich zulässig?

Nach § 32 StGB handelt es sich bei Notwehr um die „Verteidigung, die erforderlich ist, um einen gegenwärtigen rechtswidrigen Angriff von sich oder einem anderen abzuwenden“. 

Ein wichtiger Punkt besteht bei dem Thema Notwehr in der Erforderlichkeit der Handlung: Das eingesetzte Mittel muss geeignet sein, um den Angriff zu beenden – es darf aber nicht unverhältnismäßig ausfallen. Zudem muss sich die Bedrohung gerade in diesem Moment ereignen – ein Vergeltungsschlag oder eine nachträgliche Reaktion fallen demnach nicht unter den Begriff der Notwehr.

Ein klassisches Beispiel: Ein Angreifer geht mit erhobener Faust auf eine Person los. Diese darf sich verteidigen – auch mit einem gezielten Schlag, um den Angriff abzuwehren. Würde sie jedoch − nachdem die Gefahr bereits gebannt ist − weiter zuschlagen, würde dies wahrscheinlich als Körperverletzung gewertet werden. 

Genau diese feine Linie ist es, die viele Prozesse zur Notwehr in komplexe juristische Prüfungen verwandelt.

Gerichtsentscheidungen und aktuelle Entwicklungen

Die Praxis zeigt, dass Notwehrfälle häufig nicht so eindeutig sind, wie es die gesetzlichen Regelungen vermuten lassen.

Ein bekanntes Beispiel dafür stellt ein Urteil des Bundesgerichtshofs aus dem Jahr 2018 (Az. 4 StR 399/17) dar. In diesem wurde entschieden, dass ein kräftiger Faustschlag gegen einen deutlich unterlegenen Angreifer als unverhältnismäßig gilt, sofern mildere Mittel zur Verfügung stehen. 

Die Gerichte berücksichtigen in solchen Fällen zahlreiche Faktoren, darunter auch die körperliche Überlegenheit der Beteiligten, die Intensität des Angriffs und eventuelle alternative Verteidigungsmöglichkeiten.

Besonders brisant sind Fälle, in denen Verteidiger zu Waffen greifen. Während die Notwehr bei Angriffen mit Schusswaffen oder Messern grundsätzlich möglich ist, müssen die Gerichte genau prüfen, ob der Einsatz eines solchen Mittels wirklich erforderlich war. 

Betroffene sollten sich aufgrund der Komplexität des Notwehrbegriffs unbedingt um einen erfahrenen rechtlichen Beistand bemühen. Ein empfehlenswerter Ansprechpartner besteht beispielsweise in der Anwaltskanzlei Meister, Maier, Steinacher, Kessler und Kollegen.

Täter oder Opfer? Die psychologischen Aspekte

Eine entscheidende Rolle bei Notwehrprozessen spielt auch die psychologische Situation der Beteiligten. 

Wer sich in einer akuten Bedrohungssituation befindet, kann häufig nicht mehr rational über die Verhältnismäßigkeit seiner Handlungen entscheiden. Das sogenannte Schockmoment-Prinzip wird von Gerichten in solchen Fällen berücksichtigt – allerdings nur in sehr engen Grenzen. Diejenigen, die in ihrer Panik überreagieren, könnten sich also dennoch strafbar machen, wenn ein milderes Mittel zur Verfügung stand.

Ein weiteres Problem stellen Situationen dar, in denen die Rollen von Täter und Opfer vor Gericht nicht eindeutig sind. Was, wenn der vermeintliche Angreifer eigentlich nur einen Streit schlichten wollte oder das Opfer in Wahrheit zuerst provoziert hat? In solchen Fällen entscheiden die Gerichte meist nach der „Sozialadäquanz“ der Handlung – also danach, ob sie aus gesellschaftlicher Sicht als angemessen und notwendig anzusehen war.

Gerade in Fällen, in denen falsche Anschuldigungen erhoben werden, können Beschuldigte schnell in eine schwierige rechtliche Lage geraten. Mehr zu den rechtlichen Folgen und Schutzmaßnahmen bei falschen Beschuldigungen findest du in unserem Beitrag: Falsche Beschuldigung: Rechtliche Folgen und Schutzmaßnahmen.

Was gilt im Ernstfall?

Notwehr ist ein Grundrecht – allerdings eines mit klar definierten Grenzen. Wer sich verteidigt, sollte möglichst besonnen handeln und nur so viel Gewalt anwenden, wie unbedingt nötig ist. In kritischen Situationen ist es immer ratsam, zuerst deeskalierende Maßnahmen zu ergreifen, bevor körperliche Gegenwehr zur Option wird. Letztlich entscheiden dann die Gerichte über die Frage, ob eine Handlung als Notwehr oder als Straftat gewertet wird − und wie viele prominente Urteile zeigen, kann diese Entscheidung durchaus überraschend ausfallen.

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